Hamburg 7.10.2005
"Bahn frei!" gewinnt Hamburger Games Award
Der diesjährig erstmalig vergebene Games Award der Freien und Hansestadt Hamburg geht an die Berliner Spieleentwickler Jan Bölsche (32) und Patrick Rau (29).
Damit unterstützt der Hamburger Senat die Realisierung eines neuartigen Lernspielkonzeptes mit 10.000 Euro. Außerdem erhalten die Entwickler Dienstleistungen im Wert von 30.000 Euro von verschiedenen Sponsoren der Hamburger Medienlandschaft.
Preisverleihung auf dem Museumschiff Cap San Diego, Hamburg (vlnr: Linn Sackarnd, Jan Bölsche, Martin Baaske und Patrick Rau) weitere Bilder
"Bahn Frei!" bringt Kindern Verkehrsregeln bei. Aber nicht auf die althergebrachte Weise, sondern unter Verwendung des Lieblingsmediums von Grundschülern: dem Computerspiel.
Das Spiel simuliert eine mittelgroße Stadt. Aus der Vogelperspektive werden Wohnhäuser, Fabriken, Läden, Flüsse und natürlich Straßen gezeigt. Auf den Straßen und Fußwegen der Stadt herrscht reges Leben: Erwachsene fahren mit der Straßenbahn zur Arbeit oder kaufen ein, Kinder gehen zur Schule und holen sich auf dem Weg noch ein Eis, Lastwagen bringen Container in den Hafen.
Schon das passive Zusehen macht Spaß und ist lehrreich: Denn anders als in der realen Welt halten sich hier alle Verkehrsteilnehmer akribisch an die Regeln. Ampeln sind heilig, Verbots- und Gebotsschilder werden befolgt. Ohne Wenn und Aber.
In Spielen wollen Kinder mächtig sein, denn ihr Alltag ist oft vom Gegenteil geprägt. Die Regeln der Erwachsenenwelt haben sie oft zu befolgen, ohne die Gründe hierfür vollständig verstehen zu können.
"Bahn frei!" ist anders: Nach Belieben können Kinder Verkehrszeichen wegnehmen, woanders wieder aufstellen, Ampeln umschalten und 30er Zonen ausrufen.
Da wird der Autobahnzubringer zur Spielstrasse und der Parkplatz des Einkaufszentrums ist plötzlich nur noch für Forst- und Nutzfahrzeuge zugelassen. Ob bewusstes Setzen eines Abbiegegebots in eine Einbahnstrasse, die noch dazu Sackgasse ist, oder optimierende Massnahmen am Verkehrsfluss der Hauptstrasse, der Spieler hat die Macht über Chaos oder Ordnung.
Damit steht "Bahn frei!" in der Tradition der God-Games. Deren prominentester Vetreter "Black & White" ermöglicht dem Spieler, seine virtuellen Bürger mit Bäumen zu bewerfen oder Blitzen. Oder aber eben mit einem Handstreich die gesamte Ernte des Jahres einzubringen und Ertrinkende am Kragen aus tosenden Fluten zu ziehen.
Ein Verkehrschaos anzuzetteln macht Spaß und vermittelt unbewusst Wissen über die Straßenverkehrsordnung. Durch Ausprobieren und Beobachten nach dem Was-wäre-wenn-Prinzip lernen die Kinder ihre Machtinstrumente, die Verkehrsschilder, immer besser kennen. Spielerisch werden die Machtverhältnisse umgedreht: im realen Leben schreiben die Verkehrszeichen unser Verhalten im Straßenverkehr vor - hier sind sie Mittel, um unseren Willen durchzusetzen. Gleichzeitig geht die Spielumgebung mit guten Beispiel voran und demonstriert die vorblidliche Beachtung der Regeln.
Pisa und Kinsey heißen die Helden dieses Spiels. Befragt nach den Hintergründen der Namenswahl zucken die Schöpfer mit den Achseln und meinen: "Da müssen Sie schon die Eltern der beiden fragen!"
Die beiden Figuren führen die Kinder durch das Spiel und erklären die in jedem Level des Spiels neu eingeführten Verkehrsregeln.
In animierten Zwischensequenzen werden außerdem Themen der Verkehrssicherheit speziell für Radfahrer und Fußgänger behandelt.
Zu den einzelnen Leveln gehört jeweils ein Kapitel der Hintergrundgeschichte, das das Spielziel der Mission erklärt. Beispielweise muss ein Spieler dafür sorgen, dass ein Pizzalieferant seine Zieladresse erreicht, bevor die Konkurrenz dort ankommt. Dazu gilt es die Verkehrsregeln geschickt zu Gunsten des einen und zu Ungunsten des anderen zu manipulieren. Auch eher logistische Aufgaben wie z.B. der Umzug einer Familie kommen vor.
"Der Games Award wird uns helfen, den Prototypen des Spiels zu entwickeln, und mit dem Cornelsen Verlag haben wir bereits einen renommierten Vertriebspartner gefunden", freut sich Patrick Rau. Jan Bölsche ergänzt: "Leider ist es aber so, dass die Entwicklung eines derartig aufwendigen Spiels mit einem hohen Qualitätsanspruch nicht allein aus den Ladenverkäufen finanziert werden kann. Viele Eltern haben noch immer ein zu geringes Qualitätsbewusstsein, was Lernsoftware angeht. Die Kaufentscheidung fällt meist aufgrund des Bekanntheitsgrades der Titelfigur, pädagogischer Ansatz und technische Qualität sind zweitrangig. Daher sind wir auf Sponsoren aus der Industrie und öffentliche Mittel angewiesen, um Bahn frei! dennoch realisieren zu können und mit unserem Partner Cornelsen zu einem Lehrmittel für öffentliche Schulen weiterzuentwickeln." Die beiden sind jedoch zuversichtlich, dass der Games Award die Sponsorensuche deutlich vereinfachen wird.